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low light no. five

Rolf Gith © Foto: Carsten Costard

Rolf Gith
1950 geb. in Hamburg
low light no. five, 2015
Eitempera und Harzölfarbe auf Leinwand

Das Thema des Todes setzt sich in diesem Werk mit dem dominant ins Bild gesetzten gemalten Foto eines in einer Blutlache liegenden Toten beklemmend fort. Die Fotografie scheint auf eine lammellenartige Rückwand montiert, wobei die rechte Hälfte wie mit durchsichtiger Klebefolie mehrfach überzogen ist, was die Szene verunklärt und in den entscheidenden Partien die Identifizierung der Person und das Erkennen von Details erschwert. Anders als im ersten Werk der „Lebensbilder“ ist die thematisierte Person hier nicht mit ihrem Abbild wiedergegeben. Der Vater des Künstlers wird allein durch die Zusammenstellung von Bildgegenständen vergegenwärtigt, die bestimmte seiner Wesensmerkmale und Lebensstationen aus dem „Restlicht“ hervortreten lassen. Hier sind zunächst die Drucklettern anzuführen, die links im Vordergrund zu einem Turm übereinander gestapelt sind. Sie repräsentieren den Beruf des Vaters, der als Drucker und Setzer arbeitete. Der von links eintretende schwache Lichtschein erfasst die offenbar gekippte, obenauf liegende Eins, die über die darunter liegende Letter schräg in den Vordergrund ragt. Eine die Zahlenfolge ergänzende Fünf wird, durch den Turm verschattet, etwa in der Mitte des Vordergrunds sichtbar. Sie trägt die gleiche dunkelrote Farbe wie die Rose daneben. Welche Bedeutung hat die Anordnung der Lettern?

Rolf Gith schildert seinen Vater im Gespräch als risikofreudigen Menschen, worauf das Aufeinandertürmen der Lettern verweist: Immer noch eins höher – wie lange bleibt der Turm noch stehen? Der Wagemut des Vaters kommt auch in den Erinnerungen des Sohnes an dessen Erzählungen zum Ausdruck, die im Bild jedoch nicht ausgeführt werden. Nach Kriegsende geriet er in Gefangenschaft, der er durch Flucht entkommen konnte. Detaillierte Kriegserlebnisse seines Vaters kennt der Maler nicht, denn nach Deutschland zurückgekehrt behielt dieser seine vermutlich traumatischen Erlebnisse für sich. Wie so viele andere Kriegsteilnehmer blieb auch er wortkarg in Bezug auf die Geschehnisse.

Der tote Körper auf dem gemalten Foto bildet das berühmte Foto eines erschossenen streikenden Arbeiters von Manuel Álvarez Bravo aus dem Jahr 1934 ab und schildert keine Begebenheit, die der Vater so erzählt hätte. Vielmehr ist die in der Art einer Reportagefotografie wiedergegebene Darstellung Chiffre für das allgemeine Grauen des Krieges und die Traumatisierung aller, die das Töten erlebten und die Toten sahen.

Die Integration eines Pressefotos in das Kunstwerk kann als Referenz zu Andy Warhol verstanden werden. Der amerikanische Künstler hatte in den 60er Jahren als erster Reportagefotografien von spektakulären Unfällen, tragischen Selbstmorden oder – wie hier gezeigt – des elektrischen Stuhls in Siebdrucktechnik vergrößert und unter Beibehaltung des Druckrasters auf die Leinwand gebracht. Die Ästhetik des Schreckens, die von den gemalten Pressefotos ausgeht, wirkt auch im hier besprochenen Gemälde als dominantes Element. Rolf Gith kann mit der Darstellung eines anonymen Toten aus dem kollektiven Bildervorrat des zeitgenössischen Betrachters schöpfen. Das „Foto“ füllt dabei die Leerstellen in den Geschichten, die der Vater nie ganz erzählte und die der Sohn sich aus Andeutungen wie ein Puzzle zusammenfügen muss. Die mehrfach über das Foto geklebten Folienstreifen lassen dieses daher einerseits wie aus Einzelteilen montiert erscheinen, andererseits legen sie sich als Sichtbarrieren über das Motiv. Ließ das halbtransparente Cellophan auf dem Großvaterportrait die Details allmählich durchscheinen, so verhindert hier die Folie das Vordringen des Blicks zum Wesentlichen.

Der Künstler erweitert hier die Gattung der Stilllebenmalerei durch eine Aufladung der Bildgegenstände mit biographischem Sinngehalt und durch Sprengung ihrer rein formalen Gesetzlichkeiten. Die Verdichtung der Objekte in einer Art Montage- und Collagetechnik zu einem narrativen Zusammenhang kommt einer nichtlinearen Erzählung gleich, die man vom Mittel der filmischen Überblendung, vom Traum und der Erinnerung kennt.

Michael Buchkremer