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low light no. four

Rolf Gith © Foto: Carsten Costard

Rolf Gith
1950 geb. in Hamburg
low light no. four, 2014
Eitempera und Harzölfarbe auf Leinwand

Mit diesem Gemälde beginnt der Zyklus der „Lebensbilder“, in denen Rolf Gith seines Vaters und seines Großvaters in Form montageartiger Stillleben gedenkt und an dessen Schluss er ein symbolhaftes Selbstbildnis stellt. Nur bei dem ersten Gemälde ist der Darstellung durch eine Inschrift noch ein Hinweis auf das Thema gegeben: „Franz Gith 1885-1962“ ist rechts am Rand in einem vertikalen Schriftzug zu lesen, der sich über ein gemaltes Portraitfoto und die rückwärtige Tafel zieht. Das Portrait stellt den Großvater dar, es scheint in einen schmalen Glaskasten eingestellt zu sein. Dem Bildnis liegt eine Fotografie aus dem Jahr 1927 zu Grunde, Franz Gith war zu diesem Zeitpunkt Anfang 40. Die Profildarstellung als klassische Würdeformel der Bildnismalerei präsentiert ihn mit Fliege und „Vatermörder“-Kragen als offenbar selbstbewussten, dandyhaft-eleganten Mann. Die sogenannten „goldenen Zwanziger Jahre“ verbrachte er in Berlin, wo er ein  bohèmehaftes Leben geführt haben soll. Hierauf spielt der torsoartige, kopflose Frauenakt an, auf den Franz Gith zu blicken scheint. Auch bei dieser Darstellung meint man, als Vorlage könne eine Schwarzweißfotografie gedient haben, doch ist keine historisch bestimmbare Person gemeint, die Frauenfigur ist auf ihre reine Körperlichkeit und erotische Ausstrahlung reduziert.

Die schlierenartige Malweise der Oberfläche des gemalten Portraitfotos ahmt das knittrige Seidenpapier nach, mit dem Abzüge früher in Fotoalben geschützt wurden. Der interessante Effekt dieser Verschleierung, der uns nie alle Details des Kopfes und Gesichtes genau erkennen lässt, kann auf die Erinnerungsarbeit und die Erinnerungsbilder bezogen werden: Durch das gemalte, halbtransparente Seidenpapier dringt die Vergangenheit langsam durch, doch tritt sie nicht vollständig und klar sichtbar in Erscheinung; Details bleiben schemenhaft, anderes ist überdeutlich wiedergegeben, wie das rechte Ohr. Die Arbeit der Erinnerung bringt stets nur bruchstückhafte Ergebnisse hervor.

Den linken Vordergrund dominiert eine mächtig aufragende Flasche, die seltsam gelblich schimmert. Auf dem dunklen Etikett sticht ein angeschnittenes rotes Kreuz hervor, zusätzlich erscheint noch schwach lesbar, wie mit Kreide aufgetragen, der Schriftzug „E 605“. Unter dieser Bezeichnung vertrieb die Firma Bayer ab 1948 in Europa ein Pflanzenschutzmittel, das 2002 verboten wurde. Das hochgiftige Insektizid wurde im Volksmund auch „Schwiegermuttergift“ genannt, da mit ihm zahlreiche Morde, aber auch Suizide, begangen wurden. Was hat nun das Gift in der Flasche mit Franz Gith zu tun, wird sich der Betrachter fragen und kann dabei nur spekulieren, denn im Bild ist kein Indiz zu entdecken, das bei einer Antwort auf diese Fragen weiterhelfen könnte. Er muss versuchen, die einzelnen Motive zu einer stimmigen Erzählung zusammenzusetzen, wobei er sich beispielsweise eine Mordgeschichte zurechtlegen kann. Er wird dabei aber eventuell auf Abwege geraten, die Wahrheit bleibt gleichsam im Dunkel des Bildraums verborgen. Die reale Begebenheit ist indessen so prosaisch wie erschütternd: Giths Großvater nahm sich hochbetagt mit dem Nervengift „E 605“ das Leben.

Mit der verwelkten, schon zerfallenden Rosenblüte (Detail S. 34) klingt neben dem Liebesmotiv auch der Vergänglichkeitsgedanke an und mit diesem die Assoziation an das tombeau poétique, das der Enkel dem Großvater gewidmet hat. Im Spiegelbild der Blüte, das die Formen derart wiederholt, dass sie sich über den Stengel bis zum Blütenkelch zu einer Kreisfigur ergänzen, wird der Doppelsinn von „Reflexion“ sinnfällig gemacht. Es steht für Wiederholung, Gegenbild und das (erinnernde) Reflektieren, als Kreisfigur, die sich im letzten Bild der Serie schließt.

Michael Buchkremer