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Keramik der Anasazi-Kultur

Jessica Keil

Foto: Nils Georg

Fundort: Pueblo Bonito, Chaco Canyon (New Mexico)
Objekt: Sieben Keramikscherben
Datierung: Pueblo II-III (10.-13. Jh. n. Chr.)
Provenienz: unbekannt (durch W. Dehn der Lehrsammlung 1978 hinzugefügt)
Inventarnummer: 13036a-g

Zu den Exotika der Lehrsammlung des Vorgeschichtlichen Seminars Marburg gehören Keramikscherben von sieben verschiedenen Gefäßeinheiten aus New Mexico (USA). Sie stammen von dem Fundort Pueblo Bonito, gelegen im Chaco Canyon im Bereich des San-Juan-Oberlaufes und sind der Anasazi-Kultur zuzuweisen.

Die Anasazi-Kultur

Der Navajo-Begriff „Anasazi“ kann sowohl mit „die alten/historischen Menschen“ als auch mit „die feindlichen Vorfahren“ übersetz werden. Statt „Anasazi-Kultur“ wird u. a. auch „Ancestral Pueblo“ bzw. „Ur-Pueblo“ – in Abgrenzung zu den heute noch existierenden Pueblo-Kulturen z. B. der Hopi, Zuñi und Taos – verwendet.
Diese Kultur erstreckte sich über das Vierländereck Nordarizona, den Norden New Mexicos, den Südwesten Colorados sowie das südöstliche Utah, eine Landschaft aus Hochplateaus und breiten Tälern mit aridem Klima. In den jüngeren Phasen werden in diesem Bereich drei lokale Anasazi-Traditionen unterschieden, nämlich die Westliche Anasazi- resp. Mesa-Verde-Tradition, die Östliche Anasazi- bzw. Chaco-Tradition sowie die Kayenta Anasazi-Tradition. Der Fundort Pueblo Bonito befindet sich mit über 2400 weiteren Fundstellen im Canyon des Chaco River und gehört damit zur Östlichen Anasazi-Tradition.
Im Jahr 1927 wurde auf einer Konferenz in Pecos erstmals eine umfassende Phaseneinteilung der Anasazi-Kultur, die sog. Pecos-Klassifizierung, erstellt: Demnach sind zwei Stufen (Basketmaker und Pueblo), aufgeteilt auf je drei bzw. vier Unterphasen (Basketmaker I ≈ Archaikum und Basketmaker II-III sowie Pueblo I-IV) zu unterscheiden. Während die Basketmaker-Stufe die kulturelle Entwicklung bis zur Sesshaftwerdung mit dem Beginn des Ackerbaus und der Keramikproduktion umfasst, lassen sich in den nachfolgenden Pueblo-Phasen die drei oben benannten Lokaltraditionen voneinander unterscheiden. Insgesamt datiert die Anasazi-Kultur anhand einer großen Zahl dendrochronologisch bestimmter Holzproben in einen Zeitraum von etwa 7000 v. Chr. bis 1540 n. Chr., wobei das Ende der archäologischen Kultur durch das Eintreffen spanischer Truppen in der letzten bestehenden Siedlungskammer Homol’ovi (Nordarizona) gekennzeichnet ist.
Das Siedlungswesen der Anasazi-Kultur ist zunächst während der Basketmaker-Phasen durch kleine Ansammlungen von Grubenhäusern, später dann durch Stein- oder Adobearchitektur charakterisiert. Während wohl ein Großteil der Bevölkerung in den Pueblo-Phasen in kleinen Gehöften aus ebenerdig angelegten Häusern wohnte, existierten daneben auch mehrstöckige, nur über die Dächer zu betretende Großbauten mit manchmal über 800 Räumen, die vermutlich als administrative Zentren und Elitenwohnsitz anzusprechen sind. Diese Pueblos weisen stets eine hohe Anzahl an Plazas, darunter Ballspielplätze, und Kivas (runde oder rechteckige Zeremonial- und Versammlungsräume verschiedener Größe) auf. Unter den Großhäusern im Chaco Canyon ist der einstmals fünfstöckige Pueblo Bonito mit Raum für über 1000 Einwohner der größte. Die Pueblos im freien Gelände wurden in Pueblo III zugunsten von Kliffbehausungen unter Abris aufgegeben. In Pueblo IV wurden schließlich die meisten Anasazi-Siedlungen schon vor dem Eintreffen der Spanier verlassen.
Neben der Jagd mit Speer und Atlatl (aztek. für Speerschleuder), dem Fischfang und einer regen Sammeltätigkeit, u. a. von Eicheln und Pinyonkiefernsamen, wurde die Lebensweise ab Basketmaker III (Ende des 6. bis Ende des 8. Jhs.) um Trockenfeldanbau von Mais, Bohnen und Kürbis erweitert, außerdem wurden Pfeil und Bogen die dominante Jagdbewaffnung. Etwa zeitgleich setzte auch die erste Herstellung grauer Keramikware ein, nachdem die materielle Kultur der Anasazi zuvor v. a. durch die für die älteren Phasen eponyme Korbflechterei geprägt war. Ab Pueblo I vergrößerte sich das Spektrum an keramischen Gefäßformen und es entwickelte sich die nunmehr typische schwarze Bemalung auf weißem Untergrund. Die von den unterschiedlichen Kulturen im Südwesten der USA (Anasazi, Mogollon, Hohokam u. a.) geprägten Keramikstile und Verzierungsmotive sind dabei als Ausdruck religiöser Vorstellungen zu verstehen. Bekannt ist die Anasazi-Kultur außerdem für ihre Verarbeitung von importiertem Türkis (die nächste Lagerstätte befindet sich knapp 200 km südöstlich des Chaco Canyon) zu Perlen und Anhängern, die sich z. B. in großer Anzahl neben anderen Beigaben wie elaborierter Keramik und Muschelornamenten in den Gräbern der Großhäuser fanden.
Der Import von bspw. exotischen Vögeln, Kupfergegenständen und Muscheln aus Mesoamerika und der gegenläufige Austausch, etwa von Hornstein, Obsidian und Türkisgegenständen, erfolgte über ein weitreichendes Straßennetz von insg. etwa 2400 km Länge, wobei einige Wegtrassen bis zu 10 m breit ausgebaut waren. Anhand der Struktur dieses Straßennetzes ist außerdem ein Hierarchiegefälle zwischen den Pueblos einerseits und den kleineren, vermutlich hauptsächlich mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten betrauten Siedlungen andererseits nachzuweisen. Das zeigt sich darüber hinaus in den Begräbnissen der kleineren Ansiedlungen, die im Gegensatz zu den Bestattungen der Großhäuser vergleichsweise selten importierte Güter enthalten. Auch dass kleinere Siedlungen meist nur über eine einzige, zentrale Kiva verfügten, während in den Pueblos zahlreiche Kivas unterschiedlicher Größe vorhanden waren, dürfte dahingehend zu deuten sein. Zwischen den einzelnen Pueblos zeigt sich im Siedlungsgefüge dagegen nur eine geringe hierarchische Ordnung.
Aufgrund der ausschließlichen Zugangsmöglichkeit zu den Großhäusern über die zweite Etage und wegen des Vorhandenseins von mutmaßlichen Befestigungsanlagen wird verschiedentlich postuliert, es habe ab Pueblo I ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung gegeben, dabei könnte es sich allerdings auch um eine Machtrepräsentation derjenigen Kräfte handeln, die offenbar für Kontrolle, Herstellungsorganisation und Austausch von Gütern zuständig waren. Nachweisbar ist eine konfliktreiche Phase, folgend auf eine Dürreperiode, dann ab Pueblo III, die sich u. a. im Besiedlungsrückgang im bis dato dicht bebauten Chaco Canyon spiegelte. Das ökologische Gleichgewicht der Region hatte der mit einem Bevölkerungswachstum einhergehenden massiven Abholzung, dem durch eine leichte Klimaveränderung zunehmenden Wassermangel und der durch extensiven Anbau hervorgerufene Bodenermüdung nicht standgehalten. Die Siedlungskonzentration und das Austauschsystem verlagerten sich in der Folgezeit zu den davon noch weniger stark betroffenen Fundstellen Aztec und Mesa Verde, bis schließlich auch diese Siedlungen aufgrund von Ressourcenknappheit aufgegeben wurden. Es erfolgte ein kurzzeitiger Rückzug in möglichst verborgene Kliffsiedlungen, ehe eine Abwanderung in den Süden New Mexicos und Arizonas einsetzte. Möglicherweise fand die Bevölkerung dann Aufnahme in Siedlungen der angrenzenden Hohokam, der Verbleib der Anasazi liegt aber weitestgehend im Dunkeln.

Die Keramik

Unter den vorliegenden sieben Keramikfragmenten befinden sich drei Rand- und vier Wandscherben. In zwei Fällen ist die ursprüngliche Gefäßform noch zu erahnen: Bei der großen Scherbe im Hintergrund mit der Innenbemalung aus vertikalen und einem horizontalen Streifen dürfte es sich um eine große Schüssel mit vertikalem Henkelgriff handeln, während das schraffierte Fragment mit abgebrochenem Bandhenkel im Vordergrund zu einem Krug gehörte.
Fünf Scherben sind mit Außen- und/oder Innenbemalung versehen, davon vier mit dem für die Pueblo-Phasen der Anasazi-Kultur typischen Schwarz-auf-Weiß-Dekor und eine mit schwarz-rotem Muster auf orangem Hintergrund. Für die überwiegend geometrisch verzierte Anasazi-Ware sind horizontale Bänder aus ein oder zwei aneinandergereihten Motiven (meist oben und unten von einer Linie begrenzt), Stufenmuster mit parallel begleitenden Linien, von kräftigeren Randlinien umrahmte Schraffuren sowie einseitig an Linien oder Flächen angrenzende Punktreihen charakteristisch. Die beiden letztgenannten Zierarten sind im Bestand der Lehrsammlung vertreten. Auch die Scherbe in der Bildmitte mit dem Zickzackmuster auf der Außen- und einer schlichten grau-weißen Bemalung auf der Innenseite weist ein markantes Merkmal dieser Kultur, nämlich einen schwarz gefärbten Lippenbereich, auf.
Zwei der Wandscherben besitzen keine Bemalung, dafür aber eine geriffelte Oberfläche. Diese Oberflächengestaltung wurde meist für Kochgeschirr verwendet und ist ebenfalls typisch für die Anasazi-Keramik, wohingegen die sog. „redware“ eher selten auftritt.
Da die Besiedlung des Chaco Canyon bzw. die des Pueblo Bonito nur in Pueblo II und III bestand, ist die von dort stammende Keramik entsprechend in die Zeit vom 10. bis ins 13. Jh. n. Chr. einzuordnen.

Literatur

J. H. Blitz, Adoption of the Bow in Prehistoric North America. North American Archaeologist 9/2 (1988) 123-145.
K. Bryan, The Geology of Chaco Canyon, New Mexico, in relation to the life and remains of the prehistoric peoples of Pueblo Bonito. Smithsonian Miscellaneous Collections 122/7 (Washington 1954).