Hauptinhalt

Silbermünze mit Pferdemotiv

Foto: Ann-Cathrin Scherf

Die Silbermünze mit Pferdemotiv steht nicht nur für rege Handwerks-und Handelstätigkeiten in der Latènezeit, sondern auch als Logo für das Vor- und Frühgeschichtliche Seminar der Philipps-Universität Marburg.

Fundort: Amöneburg, Hessen, Deutschland

Objekt: Silbermünze mit Pferdemotiv

Datierung: Spätlatènezeit

Provenienz: Institutsgrabung auf der Amöneburg, 1982

Inventarnummer: 47/82 

Als ein „[…] in Buckel und Halbmonde aufgelöstes Pferd […]“ beschrieb Robert Forrer 1908 die Rückseiten (Revers) verschiedener keltisch-germanischer Silbermünzen aus dem Mittelrheingebiet, denen das 1,65 g leichte und durchschnittlich 1,5 cm große Stück der Lehrsammlung des Vor- und Frühgeschichtlichen Seminars angehört. Das Tier blickt nach vorn und scheint sich aufzubäumen, die „knubbeligen“ Vorderbeine sind in die Luft gestreckt, der Schweif ist nur noch schwach zu erkennen. Die Mähne besteht aus sechs Punkten, zwei durch einen schmalen Steg verbundene Kreise stellen Maul, Nüstern und Kopf des Pferdes dar. 

Entdeckt am 14. September 1982 bei Grabungen durch das Vor- und Frühgeschichtliche Seminar der Philipps-Universität Marburg auf der ca. 11 km entfernten Amöneburg, stellt die Pferdchenmünze nicht nur einen außergewöhnlichen Fund dar, sondern dient seit 1998 auch als offizieller Stempel (sowie seit 2005 auch als Logo) der Marburger Vor- und Frühgeschichte.

Die Amöneburg

Der Basaltkegel der Amöneburg weist schon im Neolithikum (ca. 5.500 – 2.200 v. Chr.) Siedlungsspuren auf und erreichte in der späten Eisenzeit einen wichtigen Status in der fruchtbaren Landschaft des Amöneburger Beckens im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Heute durch die mittelalterliche Burganlage überprägt, nahm die keltische Siedlung Kuppe, Hang und Sattel bis zur südlich vorgelagerten Wenigenburg ein und lief wahrscheinlich weiter bis zum Fuß der Anhöhe im Südosten. Die Amöneburg wird zu den nördlichsten Oppida gezählt, jenen stadtähnlichen Zentren, die wahrscheinlich sowohl politische als auch wirtschaftliche Zentralorte der keltischen Bevölkerung darstellten. Der Begriff des Oppidums geht auf Caesars Commentarii de bello Gallico zurück. Die latènezeitliche Besiedlung der Amöneburg kann seit ca. 250 v. Chr. (Latène B2/C1), aber hauptsächlich in Latène D1 (130-50 v. Chr.)  gefasst werden. 

Forschungen auf der Amöneburg, genauer auf dem Sattel zwischen Amöneburg und Wenigenburg sowie auf dem Südhang, fanden seit den 1920er Jahren durch Roland Schröder statt. Er entdeckte Siedlungsreste von späteisenzeitlichen Holzpfosten, Gruben und Feuerstellen. Die Erweiterung des Sportplatzes veranlasste erst Otto Uenze in den 40er und 50er Jahren, später Rolf Gensen vom Landesamt für Denkmalpflege Außenstelle Marburg 1970 dazu, weitere Grabungen am Südhang durchzuführen, die mehrere Hausgrundrisse mit verkohlten Bodendielen an der Hangseite, Pfostenlöchern sowie spätlatènezeitliche Keramik und Kleinfunde (Fibeln etc.) ans Tageslicht brachten. Aufgrund dieser Befundlage führte das Vor- und Frühgeschichtliche Seminar Marburg im Rahmen eines DFG-Projektes unter der Leitung von Otto-Hermann Frey und Hans-Joachim Weißhaar in den Jahren 1982 bis 1985 großflächige Untersuchungen durch. Die Arbeiten wurden in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Landesamt für Denkmalpflege (Außenstelle Marburg) durchgeführt. Die Archäologen legten insgesamt 20 Häusergrundrisse auf Wohnpodien frei, deren rückseitige Wände in den Hang gebaut und dadurch besser erhalten waren als die vorderen Mauern. Konzentrationen zerscherbter Keramikgefäße auf dem 2000 Jahre alten Laufhorizont, die auch Scherbennester genannt werden, sowie weitere verkohlte Holzpfosten und -bohlenreste sprechen für eine Brandzerstörung der Siedlung. Die Silbermünze wurde südlich des Hauses 3 entdeckt und deckt sich in der Datierung mit den anderen spätlatènezeitlichen (130-50 v. Chr.) Funden des keltischen Siedlungsplatzes.

Bronze, Silber und Gold

Die Münze ist wahrscheinlich dem Typ Forrer 350 (Avers: Lockenkopf des Apollo; Revers: Pferd davor Buckel) zuzuweisen, den Robert Forrer den germanischen Nemetern zuschreibt. Diese werden erstmals von Caesar im Zusammenhang mit Ariovists Aufstand (58 v. Chr.) genannt. Auch eine weitere Münze, die auf der Amöneburg gefunden wurde, verweist auf die Nemeter: Unter der Reiterdarstellung auf dem Revers des westnorischen Silberstaters stehen die Buchstaben NEMET. Doch diese genaue Zuweisung zu einem Typen und damit einer spezifischen Gruppe ist schwierig, weil das Motiv der Vorderseite (Avers) nicht erkennbar ist und Caesars simple Unterscheidung in „rechtsrheinische Kelten“ und „linksrheinische Germanen“ archäologisch differenzierter gesehen werden muss. 

Die „Pferdchenmünze“ verrät nicht nur etwas über das wirtschaftliche System der späten Eisenzeit, sondern steht auch für die Neuinterpretation mediterraner Münzbilder durch die Kelten, die das Münzwesen von den Griechen im 3. Jahrhundert v. Chr. im Zuge der sog. Keltenwanderungen kennenlernten und übernahmen. Schon im 4. Jahrhundert v. Chr. zogen keltische Truppen nach Italien, weiter in den mittleren Donauraum über Griechenland bis in die heutige Türkei, wie sowohl ikonografische, archäologische als auch schriftliche Quellen belegen. Antike Autoren wie Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) oder Plinius der Ältere (23/24 -69 n. Chr.) berichten von großen kriegerischen Wanderungen keltischer Stämme die sogar zur Plünderung Roms (387 v. Chr.) oder zum Angriff auf Delphi (279 v. Chr.) führten. Darstellungen keltischer Waffen aus dem Athena-Heiligtum Pergamons oder die Erwähnung der Galater, die als Söldner nach Anatolien kamen, bezeugen die keltische Expansion. Motive wie das Profil Philipp II. von Makedonien oder Reiterdarstellungen wurden kopiert und in eine eigene Formsprache gebracht. Die Münzen wurden erst aus Gold, später auch aus Silber und Kupferlegierungen hergestellt und sprechen für ein differenziertes Wirtschafts- und Handelssystem. Neben den bereits erwähnten Silbermünzen, stammen auch eine Goldmünze sowie eine Potinmünze (eine Legierung aus Bronze mit hohem Zinnanteil, die - nicht wie die anderen Münzen - geprägt, sondern gegossen wurden) von der Amöneburg.

Etwa 4 km südlich der Amöneburg wurde am sog. Goldberg bei Mardorf am 21. und 22. März 1880 ein Goldschatz geborgen, der mehrheitlich verschollen ist. Seit 1807 ist der Flurname Goldberg für den Hang südlich Mardorfs belegt, immer wieder wurden Goldmünzen, aber wohl auch einige Silbermünzen von Anwohnern gefunden. 1880 sollen es ca. 200 Münzen gewesen sein, von denen 65 im Hessischen Landesmuseum Kassel verwahrt werden. Keine dieser Münzen trägt ein Pferdemotiv wie das Objekt der Lehrsammlung, mehrheitlich vertreten sind Vogelkopfstatere (Regenbogenschüsselchen) und Dreiwirbelstatere, von denen viele Exemplare stempelgleich und kaum abgenutzt sind. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich nicht weit von ihren Prägeorten entfernt in den Boden gelangten, womit die Amöneburg als möglicher Prägeort dieser Goldmünzen in Frage kommt.  Beweise für eine Münzprägestätte auf der Amöneburg wie Tüpfelplatten für die Herstellung von Münzschrötlingen oder Halbfabrikate fehlen bisher allerdings.

Die Silbermünze aus der spätlatènezeitlichen Siedlung auf der Amöneburg steht stellvertretend für ein weit verzweigtes Wirtschafts- und Handelssystem zwischen den latènezeitlichen Großsiedlungen in Mitteleuropa und verdeutlicht den Status des ein wenig abseits vom keltischen Kerngebiet liegenden Amöneburger Beckens. 

Quellen:

P. Eisenach, Die Amöneburg – eine Großsiedlung auf dem Berg. Neue Erkenntnisse zu Befunden und Funden. Berichte der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen 10, 2008/2009, 143 – 166.

R. Forrer, Keltische Numismatik der Rhein- und Donaulande 1 (Straßburg 1908). 

M. Hauschild, Quer durch Europa. Die keltischen Wanderungen. In: Die Welt der Kelten. Zentren der Macht. Kostbarkeiten der Kunst. Begleitband zur Großen Landesausstellung Baden-Württemberg 15. September 2012 - 17. Februar 2013 (Stuttgart 2012) 257-263.

I. Kappel, Der Münzfund von Mardorf und andere keltische Münzen aus Nordhessen, Germania 54,1, 1976, 75-101.

A. Müller-Karpe, Der Schrecken (Klein-)Asiens. Die Galater In: Die Welt der Kelten. Zentren der Macht. Kostbarkeiten der Kunst. Begleitband zur Großen Landesausstellung Baden-Württemberg 15. September 2012 - 17. Februar 2013 (Stuttgart 2012) 266-268.

C. von Nikolai, Unruhige Zeiten In: Die Welt der Kelten. Zentren der Macht. Kostbarkeiten der Kunst. Begleitband zur Großen Landesausstellung Baden-Württemberg 15. September 2012 - 17. Februar 2013. (Stuttgart 2012) 254-256.

K. Sippel, Ein Bericht aus dem Jahr 1722 über keltische Goldmünzen im Mardorfer Wald, HessArch 2004 (2005) 80-83.

H. J. Weißhaar, Ausgrabungen auf der Amöneburg, In: O.-H. Frey/H. Roth (Hrsg.), Studien zu Siedlungsfragen der Latènezeit. Wolfgang Dehn zum 75. Geburtstag. Veröffentlichungen des Vorgeschichtlichen Seminars Marburg Sonderband (Marburg 1984) 65-88. 

H.-J. Weißhaar, Zur latènezeitlichen Besiedlung der Amöneburg, In: O.-H. Frey/H. Roth (Hrsg.), Kleine Schriften aus dem Vorgeschichtlichen Seminar Marburg 19 (Marburg 1986) 27-36.