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In Szene gesetzt

Frauen und Männer, die in Trachten gekleidet sind, beim christlichen Abendsmahl in einer Schwälmer Dorfkirche.
© Bildarchiv Foto Marburg

Carl Bantzer
Ziegenhain 1857 – Marburg 1941
Abendmahl in einer hessischen Dorfkirche, 1892
Öl auf Leinwand, 160 x 249 cm
Ankauf mit Spenden der Kreissparkasse und Stadtsparkasse Marburg 1968

Von links nach rechts ragen drei Kirchbänke in den Bildvordergrund hinein, auf denen Frauen in Schwälmer Festtagstracht sitzen, auf den Pulten liegen Gesangbücher. In der unteren linken Ecke ist angeschnitten und halb verschattet ein zugeklappter Schirm zu erkennen. Unter der hölzernen Empore, von der nur ein tragender Balken und der untere Rand der Holzbrüstung zu sehen sind, beobachten zwei Mädchen das Geschehen. Ihre Gesichter sind teilweise verdeckt von der sitzenden Frauengruppe und vom Zug der Männer, die sich zum Altar hin aufreihen, wo sie von einem Geistlichen das Abendmahl empfangen. Auf dem Altartisch sind zwei Leuchter mit brennenden Kerzen und ein nicht näher zu bestimmendes Messgeschirr positioniert, dahinter steht ein Kruzifix.

Als Carl Bantzer 1892 das gerade fertig gestellte „Abendmahl in einer hessischen Dorfkirche“ bei der Internationalen Kunstausstellung in München einreichte, konnte der junge Maler bereits auf erste künstlerische Erfolge zurückblicken und hatte sich einen Namen als Porträtmaler gemacht. Erst mit dem Gemälde gelang Bantzer der entscheidende Schritt seiner Karriere. Das Gemälde gewann mehrere Preise und wurde wiederholt ausgestellt, es traf beim zeitgenössischen Publikum den Nerv der Zeit.

Frauen und Männer, die in Trachten gekleidet sind, beim christlichen Abendsmahl in einer Schwälmer Dorfkirche.
© Bildarchiv Foto Marburg

Während die von kühlen Blau- und Grüntönen und von verschiedenen Schwarz- und Grautönen dominierte Farbpalette von nur wenigen warmen Orangetönen, wie dem Kerzenlicht und dem Inkarnat der Personen durchbrochen wird, und damit traditionell akademisch bestimmt bleibt, ist es die Komposition des Gemäldes, die durch Perspektive und Bildausschnitt neue Wege der bildlichen Darstellung erkennen lässt.

Den perspektivischen Blickwinkel wählte der Maler so tief, dass Betrachtende sich gleichsam kniend oder sitzend vor der Szene wähnen. Auch der Bildausschnitt bleibt beengt. Der niedrige Raum der Dorfkirche wird von wenigen Elementen wie Teilen des Chorbogens und der Apsis nur angedeutet. Damit einher geht eine Monumentalisierung der Dargestellten im Vordergrund, die vom großen Format des Gemäldes unterstützt wird. Der diagonal organisierte und suggestiv geöffnete Bildraum bietet die Bühne für spannungsvoll inszenierte Kontraste: einerseits die kompakte Gruppe der Frauen im linken Vordergrund, die sitzend im verlorenen Profil dargestellt sind, andererseits die lineare, perspektivisch sich verjüngende Reihe der stehenden Männer, die in den Chorraum führt. Einen zweiten Gegensatz bringen das hell ausgeleuchtete Kirchenschiff mit scharfen Konturen und der Chorraum mit dämmrigem Gegenlicht als Bereich der Unschärfe. Das Leuchten der Kerzen und die Lichtreflexe auf dem Metall des Messgeschirrs betonen das Halbdunkel der Kirchenapsis im Hintergrund, welches mit den unterschiedlichen Schwarztönen zur Darstellung der verschiedenen Stoffqualitäten der Schwälmer Festtagstracht im Bildvordergrund ein reizvolles Zusammenspiel ergibt.

Diese so meisterlich gelungene Komposition, zu der Bantzer durch den Besuch einer Abendmahlsfeier in Willingshausen Ende der 1880er Jahre angeregt worden war, ist das Ergebnis eines langen Entstehungsprozesses. Im Vorfeld hatte der Maler eine Auswahl aus der reichen Motivwelt der Schwalm getroffen, zum einen waren dies bäuerliche Modelle, zum anderen Kirchenräume verschiedener hessischer Dorfkirchen, die er fotografisch und in Kohlestudien festhielt. Nach einer ersten, schließlich verworfenen Version im Großformat überließ Bantzer bei den Vorarbeiten für die zweite Fassung nichts dem Zufall und ließ den Innenraum für seine Abendmahlsszene im Maßstab 1:1 nachbauen. Darin stellte er die Szene mit Hilfe der realen Personen entsprechend dem bereits konzipierten Bildaufbau nach und hielt sie fotografisch fest. Diese in der Literatur mehrfach besprochene Fotostudie fungierte gleichsam als „Rückversicherung“ eines in sich stimmigen Bildaufbaus und trug entscheidend zum Gelingen des Werkes bei. Die Kombination von suggestiver Bildräumlichkeit und fotografischer Methode führte, verbunden mit der Wahl des optimalen Bildausschnitts zur starken Wirkung des Gemäldes auf das Publikum.

Der Erfolg des Werkes auf der Internationalen Kunstausstellung in München 1892 markiert Bantzers künstlerischen Durchbruch. Nach der ersten Präsentation in München wurde das Gemälde wiederholt auf Jahreskunstausstellungen gezeigt, bis es 1899 für die Königliche National-Galerie in Berlin erworben wurde, zudem war es 1904 auf der Weltausstellung in St. Louis zu sehen. 1968 konnte Museumsdirektor Dr. Carl Graepler dieses Hauptwerk der Willingshäuser Malerschule, durch Spenden der Kreissparkasse und der Stadtsparkasse Marburg für die Universitätssammlung gewinnen.

Silvia Popa

In unserer Online-Ausstellung „Carl Bantzer und die Fotografie“ können Sie mehr über den Künstler und seine Arbeitsweise erfahren.