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Franziska Klose, Detroit, Guerilla Garden

© Franziska Klose

Franziska Klose
geb. 1977 in Halberstadt
Detroit, Guerilla Garden, 2016
UV-Druck auf Vliestapete

© Franziska Klose

Auf den ersten Blick wirkt der dargestellte Garten angenehm und harmonisch. Ein grünes Feld mit zahlreichen Pflanzen liegt im Vordergrund, dahinter erheben sich kleinere Bäume und Sträucher. Die Bepflanzung erscheint ungeordnet, nur auf der linken Seite ragen zwei Holzpflöcke empor, die das Wachstum einer Pflanze unterstützen; fein abgetrennte Reihen oder Beete sind nicht zu erkennen. Am oberen Bildrand ist ein Stück des grauweißen Himmels zu sehen.

Entstanden ist die Fotografie in der US-amerikanischen Stadt Detroit. Bei dem Motiv handelt es sich um ein illegal angelegtes Feld auf einem vormals leeren Grundstück. Guerilla Gardening, worauf der Titel verweist, ist in der Motor City keine Seltenheit. Auf der gezeigten Freifläche standen zuvor Wohnhäuser, die 2004 abgerissen wurden. Die erhofften Investoren blieben aus. So ist es häufig in der Stadt, die noch immer mit den Folgen der Abwanderung der Automobilindustrie zu kämpfen hat. Detroits leere Straßen mit verwahrlosten Häusern prägen das Stadtbild. Doch seit den 1970er Jahren entwickelt sich hier eine alternative Produktionskultur mit zahlreichen Gemeinschafts- und Landwirtschaftsprojekten.

Nur geduldet und nicht offiziell erlaubt, bleibt Guerilla Gardening für die Detroiter Bürger/innen ein unsicheres Vorhaben. Von der Stadtverwaltung werden die angelegten Gärten verboten, sobald sich ein Grundstücksverkauf anbahnt oder die Bereiche einer eventuellen Stadtentwicklung im Wege stehen. In der Nähe dieses im Foto dokumentierten Gartens wurde bereits eine neue geschlossene Wohnanlage errichtet. Nicht nur die vorhandenen Freiflächen sorgen in der Stadt für das Aufblühen zahlreicher Gärten. Auch der Umstand, dass es in weiten Teilen der Stadt schwierig ist, gesunde Lebensmittel zu kaufen, bekräftigt den Drang nach solidarischen und nachhaltigen Initiativen. Größere Gebiete der Stadt gelten als „Food-Desert“, also als Zonen ohne Supermärkte oder Lebensmittelgeschäfte. In vielen Gegenden sind nur Liquor Stores oder Tankstellen verfügbar. Da viele Bewohner/innen kein Auto besitzen, sind größere Läden mit einem preiswerteren Angebot kaum erreichbar. Alternativ legen die Detroiter/innen kleine, illegale Gärten auf leeren Grundstücken an, um sich mit frischem Gemüse zu versorgen. Gleichzeitig sind die Projekte als Schritte in Richtung einer postkapitalistischen Kultur und als Gegenbewegung zur Konsum- und Wachstumsgesellschaft zu verstehen. Um nicht jedes Jahr befürchten zu müssen, vertrieben zu werden, setzen sich Food-Aktivisten für die legale Bepflanzung brachliegender Grundstücke oder die günstige Vermietung dieser Flächen ein.

Die Idee entstand in den Community Gardens in New York in den 1970er Jahren und ist stark mit der Naturgartenbewegung verbunden. Heute bemühen sich einige Städte im Sinne von Urban Gardening, grüner und naturnaher zu werden und schaffen Flächen zum Selbstanbau. Das ist gut für den Klimaschutz und die Lebensqualität der Stadtbevölkerung. Auch in Marburg gedeihen ähnliche Projekte, beispielsweise der Marbacher Mitmachgarten, die Interkulturellen Gärten im Stadtwaldgelände, der Gesundheitsgarten im Stadtteil Richtsberg oder die Gartenwerkstatt, die es bereits seit 2012 gibt.

Seit 2010 beschäftigt sich Franziska Klose mit postindustriellen Landschaften und zeitgenössischer Natur. Im Projekt „The New Wild“ erkundet sie in Bitterfeld und Detroit Brachflächen, urbane Gärten und verwilderte Stadtgebiete. Verbunden sind ihre Reisen mit botanischen Erkundungen, historischen Recherchen und Begegnungen mit den Anwohner/innen. Welche Pflanzen in den fotografierten Gebieten sprießen, weiß Franziska Klose ganz genau. Ihr Blick gilt insbesondere der neu entstandenen Vegetation. Eingehend studiert sie die Gärten und Landschaften und kategorisiert ihre Funde. Neben Kohlrabi, Basilikum und Chili finden sich hier Klee, Seidenpflanzen, Wilde Möhre, Gräser und Disteln.

Über die Online-Ausstellung „The New Wild“ sind weitere Fotografien der Künstlerin zu entdecken und bieten einen Einblick in die Museumsausstellung, die aktuell noch geschlossen ist. Kürzlich erschien mit „Detroit“ das zweite Buch im Verlag Spector Books.

Samira Idrisu